Vom Fall ins Niemandsland oder Warum nichts mehr zu wissen, der Anfang des Verstehens sein kann.
- Franziska Rabe
- 27. Okt. 2016
- 4 Min. Lesezeit

Eben noch voller Eifer das eigene Selbst lobpreist und die Konturen meines Ichs verstärkt, den ultimativen Plan ohne Plan vor Augen und dann ist alles weg.
Wer nur lang genug vom spirituellen Aufstieg spricht, der bekommt ihn auch. Besonders gern gesehen, in Form des Egoabstiegs.
Manchmal Transormation in Häppchen und gut zu verdauen, manchmal bekommt man so viel, dass alles andere völlig verschwinden muss.
Da war wieder ein solches Erwachen. Es schlug zu, als es gerade nicht besser hätte laufen können. Denn alles lief, so wie ich es mir gewünscht hatte, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich will es nicht überidealisieren, aber doch, es war so eine Flowzeit. Veränderung lag in der Luft und ich fühlte mich mehr als bereit in diese große Veränderung einzusteigen. Es fühlte sich groß an und bedeutend. Als würde ganz plötzlich alles immer schneller und schneller funktionieren und alles zur rechten Zeit und am rechten Ort sich fügen, nur damit sich meine größten Träume erfüllen konnten.
In mir machte sich eine Klarheit breit, an die ich mich mit Faszination zurückerinnere. Klarheit darüber, wer ich bin und welche längst überfälligen Entscheidungen getroffen werden mussten. Von welchen Menschen und Umständen ich mich ohne weitere Umwege trennen musste. Ich folgte der Klarheit, denn plötzlich spürte ich ohne Zweifel, was für mich richtig war. Wie wertvoll ich wirklich war und ich war fest entschlossen danach zu handeln. Eine neue Tiefe hatte sich in meiner Beziehung zu mir selbst erschlossen.
Es war eine fordernde Zeit, denn die vielen Trennungen gingen mir teilweise sehr nahe und brauchte viel Achtsamkeit und Mitgefühl mit mir selbst und den anderen, um einen runden energetischen Schlussstrich zu ziehen.
Doch dann war es plötzlich anders als gedacht. Natürlich war es das. Anstatt meine neue große Freiheit und Klarheit nun zu zelebrieren und die neue Leichtigkeit zu genießen, machte sich in mir von Tag zu Tag eine gähnende Leere breit.
Im großen LOSLASSEN, hatte ich offenbar etwas in Bewegung gesetzt, dass sich auch ohne mein weiteres zutun fortsetzte.
Etwas wie ein schwarzes Loch, schien alles Lebendige auszusaugen. Überall begegnete ich nur der Leere. Die große Klarheit wich der großen Verwirrung. Plötzlich schien schon wieder nichts mehr von dem von Bedeutung gewesen zu sein, auf das ich die ganze Zeit hingearbeitet hatte. Die Meilensteine und Visionen von gestern, schmeckten heute fade und leer. Als wären sie nur ein anderer Teil, der großen Illusion, auf die ich wieder reingefallen war. Von der großen Klarheit und Inspiration fiel ich ins Niemandsland. Einem Ort an dem es keine ehrenswerten und erstrebenswerten Regeln gab, eine Art Grauzone des Lebens, ein Übergang der nichts Halbes und nichts Ganzes ist.
Tief in mir wissend, dass ich bereits mitten in der großen Veränderung war, so wie ich mich bereit dafür gefühlt hatte. Aber eben anders als als erwartet. Anders als in meiner Vorstellung. Wie eine Geburt, nur ohne dass ich wusste was geschieht, erschöpft und ohne jegliche Anleitungen einer Hebamme.
Ich wusste plötzlich nicht mal mehr die Antwort auf die einfachsten Fragen des Lebens. Alles schien mir offen, irgendwie anders. Vieles klang in meinem Ohren mehr floskelhaft, als wahr und alles irgendwie leer.
Das alte Wissen war als eine Erinnerung noch da in mir, aber es war plötzlich ohne Substanz. Von ganzem Herzen, wusste ich einfach garnichts mehr.
Was sind Deine Ziele? Was wünscht Du Dir? Wie soll Dein Leben aussehen?
Auf die banalsten Fragen hatte ich plötzlich keine Antwort mehr und statt Inspiration stieg Scham in mir auf, wenn meine Orientierungslosigkeit meinem Umfeld auffiel. Alle Weisheit, alle innere Stärke und die vielen guten Ratschläge die ich selbst immer fleißig verteilt hatte, waren vergessen oder fühlten sich stumpfsinnig und hohl an.
Was wenn der gute Ratgeber plötzlich der Ratsuchende ist, aber all die gutgemeinten Ratschläge schon bis zum Erbrechen kennt?
Dann fühlt man sich für einen Moment sehr verbunden mit all den Menschen, denen der sonst so selbstverständliche Zugang, zu höherem Wissen und Bewusstsein, noch versperrt liegt. So verweilte ich in dem Mitgefühl und der tiefen Verbundenheit mit den Menschen und der großen Sinnlosigkeit, die all die Seelen spüren mussten, wie ich es gerade tat. Ich erlaubte meinem Umfeld ihre liebevollen und doch altbekannten Ratschläge über mich zu ergießen, denn jetzt war ich ratlos.
Und dann passierte da etwas in diesem großen Nichtwissen und meinem Aufenthalt im Niemandsland. Entgegen vorheriger spiritueller Erfahrungen, die nicht selten spektakulär und magisch schienen, war es nun eine stille Erkenntnis, die mich beschlich. Sie war unaufdringlich, ja fast unauffällig.
Ich konnte zwar weder meine Seele hören, noch meine Geistwesen kontaktieren oder Zeichen vernehmen. Ja tatsächlich fühlte ich mich total abgeschnitten von meiner göttlichen Verbindung. Aber ich konnte dafür etwas anderes wahrnehmen, die Verbindung zu den Menschen. Ich konnte ihren Schmerz über ihr allein sein, die Trennung zu der Quelle und ihrem wahren Wert, in jeder Zelle meines Seins spüren. Mein Schmerz war ihr Schmerz und hier trafen wir uns. Allein und unschuldig. War es Demut die mich erreichte, oder einfach Liebe für die Menschen? Plötzlich war ich nicht mehr anders oder weiter, ich war mitten unter ihnen. Ich war ein Teil der Menschen und ich liebte sie in ihrem Schmerz und in ihrem Unwissen, in ihrem ständigen Bemühen um Anerkennung und etwas leichtere Zeiten.
Und mir wurde klar, dass es nie um etwas anderes im Leben ging, als sich gegenseitig ein Licht in der Dunkelheit zu sein. Sich wahrlich zu sehen und auf der verletzlichsten und echtesten Ebene zu begegnen und zu fühlen. Es braucht keine fantastischen Geschichten oder Talente, keine großen Erfolge oder Besonderheiten. Das kraftvollste was wir sein konnten, war, einfach wir selbst zu sein, so verletzlich und unwissend wie wir es letztlich immer sind. Mitfühlende Wesen, die bereit sind einander zu dienen, einfach mit genau dem, was sie zu geben haben. Kein bisschen mehr und kein bisschen weniger als das, ist wofür ich hier bin.
"Bevor du nicht Mitgefühl erfahren hast, glaube nicht, dass du wirklich gelebt hast oder dass du überhaupt gelebt hast.
Mitgefühl ist ein Erblühen. Und, wenn einem Menschen Mitgefühl widerfährt, werden Millionen geheilt. Wer auch immer in seine Nähe kommt ist geheilt. Mitgefühl ist therapeutisch."
(Osho, A Sudden Clash of Thunder)
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